Aleksandar Zograf

Der serbische Comiczeichner („Psychonaut“) begann seine Karriere in den 80er Jahren. Aleksandar Zograf beschäftigte sich teils autobiografisch in seinen Werken mit dem Thema Restjugoslawien und mit den NATO-Angriffen im Jahr 1999 auf Serbien. Von dem Künstler sind zahlreiche Werke in Übersetzungen bei Comicverlagen wie Fantagraphics Books, L’Association oder Jochen Enterprises erschienen.

Aleksandar Zograf. Foto: Gordana Basta

Wir haben den Stargast Aleksandar Zograf anlässlich der Vienna COMIX 2022 interviewt.

Was war zuerst da, der Wunsch Geschichten zu erzählen oder zu zeichnen?

Als Kind war ich vom Zeichnen besessen, doch sehr bald fing ich an zu schreiben, meistens fantastische Geschichten. Als Teenager schrieb ich an meinem eigenen Fanzine (ein Magazin, von Fans für Fans) namens KRETIN, die erste Nummer kam 1979/1980 heraus. Zu dieser Zeit veröffentlichte ich auch Rockkritik (ich interessierte mich hauptsächlich für die Avantgarde-Szene, wie die frühen „The Residents“) Meine Artikel erschienen in nationalen Publikationen schon bevor ich erwachsen wurde. Etwa im Rockmagazin Jukebox, das nicht nur in Jugoslawien, sondern auch in den slawischen Ländern Osteuropas gelesen wurde, wo Rockmagazine aus dem Westen zu dieser Zeit sehr schwer zu bekommen waren. Noch immer kennen mich Leute unter meinem richtigen Namen Saša Rakezić, weil sie meine frühen Artikel gelesen haben. Irgendwann Mitte der 1980er Jahre begann ich unter dem Pseudonym Aleksandar Zograf, experimentelle Comics in der jugoslawischen Presse zu veröffentlichen.

Hast du immer ein Notizheft dabei um Skizzen zu machen?

Früher schon, jetzt trage ich nur noch ein Skizzenbuch bei mir, wenn es notwendig ist. Ich zeichne bei allen Gelegenheiten so viel, dass ich manchmal einfach das Spazierengehen genieße (sehr oft in den Bergen) und das Fahrradfahren…

Kontrollierst du, oder lässt du die Übersetzungen deiner Comics kontrollieren, ob sie sinnhaft sind?

Ich befasse mich selten mit Übersetzungen, das überlasse ich den Übersetzer*innen. Ich schreibe Texte oder Übersetzungen auf Englisch, ich spreche ein wenig Italienisch, aber nur zur grundlegendsten Kommunikation, nicht genug um mit der literarischen Korrektheit des Textes umzugehen. Wenn es um japanische oder griechische Übersetzungen usw. geht, habe ich den Übersetzer*innen voll vertraut.

Welchen Vorteil hat das Erzählen in Comicform?

Der Vorteil eines Comics ist, sich mit einer Zeichnung auszudrücken, anstatt Worte zu verwenden. Text und Zeichnungen können kombiniert, nach neuen und originellen Wegen gesucht werden. Der Comic ist tatsächlich nah am Film, die Geschichte wird in Form von Sequenzen dargestellt. Der Comic-Journalismus ist heute beispielsweise eine völlig legitime Ausdrucksform. Was ich damit sagen will, ist, dass Comics mit anderen Disziplinen kombiniert werden können und sehr originelle Lösungen möglich sind.

Krieg kommt oft als Thema in deinen Geschichten vor und du hast Krieg auch real erlebt. Ist die Arbeit dann belastend oder kannst du die Situationen ab-arbeiten, dich etwas befreien, dadurch?

In den 1990er Jahren sprach ich über den Krieg, der zum Zerfall Jugoslawiens führte. Es interessierte mich, wie sich diese Situation in gewöhnlichen Menschen widerspiegelt, vielleicht welchen aus meinem Umfeld In dem Buch Partisanenpost sprach ich über einen anderen Krieg, den Zweiten Weltkrieg, der fast das gesamte Leben auf dem Planeten Erde betraf. Noch heute ist das Echo dieses Ereignisses überall zu spüren, besonders in Europa. Während des 20. Jahrhunderts waren die technologischen Fortschritte erstaunlich, aber sie wurden häufig verwendet um Menschenleben zu vernichten. Allein in den späten 1930er Jahren und in den 1940er Jahren starben mehrere Millionen Menschen, mehr als in jedem anderen historischen Zeitraum. Der Kampf gegen die extreme Rechte, so dachte man, hätte nach dem schrecklichen Leid, das unsere Zivilisation erlitten hat, selbstverständlich werden sollen. Aber heute haben wir den Aufstieg der Rechten aller Art wieder und das Hauptmerkmal der Politik der Zeit in der wir leben, ist der Konservatismus. Ist es möglich, dass wir nichts aus der schrecklichen Vergangenheit gelernt haben? Es scheint notwendig, die Menschen an diese schrecklichen Erfahrungen zu erinnern. Meine Interessen sind jedoch vielfältig, ich mache auch Comic-Reportagen, Comics über Träume, archäologische Comics und mehr.

Haben Comics bei jungen Menschen noch eine Chance gegen das Internet, Games oder sonstige digitale Vergnügungen?

Vor kurzem hatte ich einen Comic-Workshop mit Schulkindern in Užice, einer Stadt in Westserbien. Ich habe gedacht, dass junge Leute im Gegensatz zu früheren Zeiten Comics fast nicht kennen. Trotzdem musste ich ihnen nicht viel über die Sprache der Comics erklären. Ich erkannte, dass ihre Eltern, die Comics mit Leidenschaft lasen, tatsächlich mit ihnen darüber sprachen und sie ihnen zeigten. Selbst wenn sie also nicht selbst Comic-Heften nachjagen, wissen sie, wie Comic-Medien funktionieren, sie haben es persönlich von Familienmitgliedern gelernt. Ich denke das stellt sicher, dass das Comic-Buch zumindest als Sprache unter der jüngeren Generation anerkannt wird. Dann bat ich sie auch sich zu melden, wer denn Mangas lese und die meisten von ihnen hoben ihre Hände!

Ich denke, dass der Comic heute in einer unterlegenen Position gegenüber den populären digitalen Medien ist. Aber während Menschen früher schon in ihrer Jugend mit Comics in Kontakt kamen, ist es jetzt wahrscheinlicher, dass sie nun in späteren Perioden ihres Lebens anfangen werden, Comics zu lesen und zwar als „Graphic Novels“, so wie man früher erst später zu „ernster“ Literatur kam und das muss gar nicht Mal so schlimm sein.

Die letzten beiden Jahre mit Corona, jetzt der Angriff auf die Ukraine – einfach die Fortsetzung der Katastrophen, wie bisher in der Menschheitsgeschichte oder doch eine besondere Eskalation?

Ich werde noch einmal den Comic-Workshop in Užice erwähnen – eine Gruppe von Kindern kam ganz auf eigene Faust auf die Idee, ein gemeinsames Werk zu zeichnen, jeder jeweils ein Quadrat vom Comic. Interessiert fragte ich nach dem Thema dieses Comics. Das Drehbuch auf das sie sich in einer gemeinsamen Diskussion einigten, handelte von Putin und Corona und wie die Welt nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine aufgehört hat, über Corona zu sprechen! Ich denke, sogar zehn- oder elfjährige bemerken die Ereignisse um sie herum. Wenn wir die Kindercomics beiseitelassen, denke ich persönlich, dass all diese Ereignisse Teil einer allgemeinen Krise sind, die viel länger als zwei Jahre dauern wird.

Kannst du dir Kriegsberichte ansehen ohne zu sehr an deine eigenen Kriegserlebnisse erinnert zu werden?

Kaum, weil alles so vertraut erscheint. Es ist traurig, dass wir all die Jahre nicht davon abgerückt sind, Konflikte mit Hilfe von Bomben zu lösen und das Schlimmste könnte noch kommen…

Können Comics ihre Leser*innen wachrütteln?

Ich weiß es nicht, aber einen Versuch ist es wert. In Serbien gab es überraschend viele Reaktionen auf meine Comics über das heute bereits ein wenig verdrängte Thema, den Zweiten Weltkrieg. Meine Absicht ist es eigentlich über das Schicksal gewöhnlicher Menschen zu sprechen, die sich mitten in einer Hölle der objektiven Realität befinden – was können sie tun? Wie sollen sie sich verhalten? Auf solche Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Inspiriert hat mich die Tatsache, dass ich erst vor wenigen Jahren, in meinen 50ern, von den Aktivitäten meiner Großeltern während der Nazi-Besatzung und ihrem Engagement für den illegalen Widerstand erfahren habe. Mein Großvater starb, als ich 14 Jahre alt war, also konnte ich nicht einmal mit ihm über den Krieg sprechen und dann fand ich Belege und seine Aussagen in den Archiven der Stadt Pančevo über das, was in der Stadt geschah und seine Aktivitäten in diesen Jahren.

Obwohl meine Großeltern, die an vielen Aktionen zusammen teilnahmen, sich in ihrem Leben nie über irgendetwas beschwert hatten, wurde mir klar, dass sie sehr schwierige und dramatische Situationen durchmachten. Ihr Leben hing am seidenen Faden und sie halfen anderen selbstlos; unter anderem organisierten sie Sammlungen zur Verpflegung von Häftlingen in den Konzentrationslagern. Das war eine sehr komplexe und gefährliche Operation. Interessanterweise bekamen sie auch Hilfe von Deutschen, entweder von denen, die Vertreter der deutschen Minderheit in diesem Teil Serbiens waren, oder von Antifaschisten aus dem Reich. Es gab viele solcher Geschichten und sie kommen nun langsam aus dem Schwarz-Weiß-Rahmen, der einst vorherrschte, als es um diese Zeit ging.

Vielleicht ist das der Grund, warum sich während des Zerfalls Jugoslawiens in den 1990er Jahren, Situationen des Zweiten Weltkriegs wiederholten oder die Menschen sich aneinander rächten. Die Lektion der Vergangenheit wurde einfach nicht in all ihrem Gewicht verstanden – leider geschieht dies anderswo auf der Welt ebenso. Durch meine Arbeit habe ich versucht, über das Leiden des kleinen Mannes, der kleinen Frau, des kleinsten Rades, nachzudenken. Menschen für die, die „große“ Geschichte keine Zeit hat oder sie für erbärmlich hält. Ich weiß nicht, ob es jemanden aufwecken kann, aber während ich darüber nachdenke, fühle ich mich, als würde ich selbst aus der Lethargie gerissen.

Zeichnest du eher, was dich beschäftigt oder über allgemein aktuelle Themen?

Ich beschäftige mich viel mehr mit meinen persönlichen Interessen. Zum Beispiel erforsche ich seit Jahren wie Schlaf unser Leben, aber auch unsere Kreativität beeinflusst. Für eine Weile vertiefte ich mich als Praktizierender, nicht als Theoretiker in das Problem der luziden Träume (Traum, in dem der Träumer sich dessen bewusst ist, dass er träumt). Lange Zeit lag mein Fokus auf hypnagogischen Visionen, welche wir sehen, wenn wir in den Schlaf sinken oder aus einem Traum aufwachen. Ich rekonstruierte sorgfältig Tausende von Bildern, die vor meinem inneren Auge lauerten und veröffentlichte einige dieser Zeichnungen in selbst produzierten Mini-Comiczines namens Hypnagogic Review. Ebenfalls 1997 veröffentlichte der (heute nicht mehr existierende) US-Verlag Kitchen Sink Press ein Comicbuch, „Flock of Dreamers“, herausgegeben vom amerikanischen Comiczeichner Bob Kathman und mir. Es ist eine internationale Anthologie von Traum-inspirierten Comics, mit exklusiven Beiträgen von Robert Crumb, Jim Woodring und anderen Autoren.

Ich mache auch eine Art Comic-Reportage (für die serbische Wochenzeitschrift VREME), versuche zumindest die Länder und Städte zu verstehen, die ich besuche. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir den Anderen verstehen und ich hatte immer den Eindruck, dass wir durch die Erfahrungen anderer uns selbst besser verstehen. Es stellt sich heraus, dass es den Menschen am schwersten fällt, sich selbst zu verstehen – werden solche Fragen nicht von ganzen Armeen von Psychologen, Philosophen und verschiedenen anderen Experten behandelt? Ich versuche andere auf meinen Reisen zu verstehen und dann mich selbst… Ich interessiere mich auch für Archäologie (insbesondere prähistorische Archäologie) und habe mehrere Comics zu diesem Thema gezeichnet. In der Tat, je älter ich werde, desto tiefer bewege ich mich in der Zeit zurück und in mir selbst ist es ein sehr lustiger Prozess… Viele meiner Comics sind jedoch eigentlich eine Illustration von längst vergessenen Zeitungsartikeln und seltenen Büchern und ich halte den Flohmarkt für eine absolute Fundgrube, zu der ich oft zurückkehre und sie erforsche…

Welche Comic-Zeichner*innen haben dich beeinflusst?

Definitiv Robert Crumb, als scharfer Kritiker der Gesellschaft und großes Cartoon-Talent. Ich glaube er ist der Letzte unter den großen Cartoon-Genies – wenn er diese Welt verlässt, wird unsere Kultur dieser Art von Menschen beraubt sein, vielleicht für immer. Ich lese auch gerne klassische amerikanische Comics, Autoren wie George Herriman, Winsor Mc Cay, Cliff Sterrett, Milt Gross und Vertreter einer etwas jüngeren Generation wie Basil Wolverton, Harvey Kurtzman… Es gibt viele großartige Comic-Autor*innen und ich habe durch ihre Werke etwas über das Zeichnen und das Leben gelernt.

Was ist das Spannendste an deinem Job?

Für mich persönlich ist es eine Freude in andere Teile der Welt reisen zu können – da ich in verschiedenen Ländern publiziere – und interessante Menschen zu treffen. Dank meiner Arbeit mit Comics kann ich alles kommentieren und kreativ mit der Welt um mich herum umgehen. Was will ein Mensch mehr?

Wordrap!

Die Vienna COMIX wird … uns neues kreative Engagement präsentieren!

Politiker sind einfach … unglaublich schlau (bah, ich scherze nur).

In Wien werde ich … meine Österreichischen Freunde treffen! Vielleicht besuche ich auch den Flohmarkt!

Wenn nicht Comic-Künstler dann … Archäologe, definitiv.

Es ist an der Zeit, dass … wir alle lernen, über uns selbst lachen zu können!

Serbien und Österreich verbindet … Menschen.